Silly Putty
Silly Putty (2010 / ca. 60 min.)

Choreografie
Yoshie Shibahara & POGOensemble

Tanz
Dilan Ercenk, Denise Temme, Tessa Temme &
Yoshie Shibahara, Sachie Tanaka

Licht- & Tontechnik
Wolfgang Pütz & Philipp Sander

Chor. Assistenz
Deren Ercenk

Der Begriff der Fusion bezeichnet grundsätzlich die Zusammenführung bzw. Verschmelzung getrennter Einheiten zu einer neuen Gesamtheit. Für »Silly Putty« sind die Choreographen Yoshie Shibahara und das POGOensemble eine solche Fusion eingegangen.

»Silly Putty« konkretisiert ein Experiment: die Idee der Perfektionierung der menschlichen Existenzweise durch beharrliches Optimieren und Rationalisieren aller Lebensbereiche. Zusehends bewegen sich die Menschen als massenkonforme Akteure in einem auf Ökonomie und Effizienz getrimmten Kollektiv, das die Forderung nach Individualität zu Gunsten des konsenses der Gemeinschaft ausblendet.

Das utopische Ziel der ultra-homo­genen Lebensweise fordert ihr Gegenbild heraus: den Weg in eine nicht-vorhersehbare Wunderwelt aus Alchemie und Mystik.

Förderer Silly Putty

Pressestimmen »Silly Putty heißt auf deutsch so etwas wie ›denkende‹ oder ›intelligente‹ Knete, steht bei Wikipedia – eine Art industriell hergestelltes Silikonplastik, das springt, wenn es auf eine harte Fläche geworfen wird, aber auch fließt und bei einem harten Stoß zerbrechen kann – ein schönes Bild für Tanz. Die beiden statuenhaften Frauen, die fern von den Zuschauern auf der Wachsfabrik-Bühne stehen und liegen, könnten ebenfalls Knetfiguren sein. Fließend und weich bewegt sich die eine weg, eingesogen von der geheimnisvollen Tür an der hinteren Wand wie von einem futuristischen Kraftzentrum, es könnte auch ein Raumschiff sein. Dann erhebt sich bedrohlich das elektronisch hallende rauschen der Musik.

Knete hat das Ensemble die Choreografie von Yoshie Shibahara und dem POGOensemble genannt, weil die Tänzerinnen, die vor knapp zehn Jahren an der Sporthochschule Köln studiert haben, nun erstmals zusammenarbeiten. Und tatsächlich fügt sich ›Silly Putty‹ zu einer dichten, homogenen Arbeit, dunkel und unheimlich wie ein Film von David Lynch.

Erst zwei, dann fünf Frauen bilden eine organische Masse. In einer kreisförmigen Gruppe pflügen sie durch den Raum der Wachsfabrik, wie ein einziges Tier. Ein Fünfköpfler, der immer wieder das rechte Bein nach hinten ausstreckt, rhythmisch und wiederkehrend. Es ist eine Art fließender, eintönig langsamer Michael Jackson-Moonwalk-Schritt, vom Breakdance abgeguckt, bei dem man auf der Stelle tritt und nie den Boden verlässt. Man hört das gleichmäßige Streichen der Füße auf der auf dem Boden liegenden Speisestärke (Silly Putty wird aus Stärke und Wasser gemacht), als würde das zu der schwebenden Musik von Jacob Kierkegaard gehören. Monoton wippt das Wesen auf und ab.

Dann sind sie vorne an der Zuschauerrampe, die Musik wird Dancefloorartig, die Bewegungen der Frauen schneller und discohaft, immer bricht eine kurz aus und tanzt gegen den Strich. Als ›ein auf Ökonomie und Effizienz getrimmtes Kollektiv‹ bezeichnen sich Dilan Ercenk, Denise und Tessa Temme, Yoshie Shibahara und Sachie Tanaka ironisch, das eine ›ultrahomogene Lebensweise‹ will. Dann bricht die Individualität ein: Eine stolpert mit Pumps auf die Bühne, posiert aufreizend. Eine andere fällt pittoresk hin – Freiheit ist schwer.

Nach und nach schlängeln sich die anderen herein, wie Schlingpflanzen krabbeln sie an der Wand entlang, stoßen sich ab wie Korallen, stellen sich auf den Kopf an die Wand. Seltsam eigensinnige Wesen, Frauen mit grotesk verzerrten Weiblichkeitsbildern. Schließlich haben sie sich aus dem Korsett befreit und lassen sie durch die Stärke schlittern wie durch Schnee. Es ist ein aufregendes, ungewöhnliches Bewegungsrepertoire, das da in der kathedralenartigen Halle der Wachsfabrik zu sehen ist. Schließlich wird über die zaghaft individuellen Weltversuche der ›homogenen Knetmasse‹ eine riesenhafte Folie gebreitet. Eine atmosphärisch Dichte, rätselhafte Reise in die Zukunft, die vielleicht schon gestern war. Sehenswert.«

AKT.17, November 2010